Warum es die FDP braucht

Ob es die Freien Demokraten im Parteienspektrum noch braucht – diese Frage stellen sich viele. Doch wer glaubt, man könne auf liberale Politik verzichten, irrt. Ohne sie kippt das Gleichgewicht, und unsere Demokratie verliert ihre Stärke: die Mitte.
Die Freien Demokraten stehen in Bayern vor einem Scherbenhaufen. Seit Februar ist die Partei nicht mehr im Bundestag vertreten und auch aus dem Bayerischen Landtag ist sie längst ausgeschieden. Bei der Europawahl blieb sie unter fünf Prozent. In aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl liegt sie zwischen drei und vier Prozent, zur Landtagswahl bei zwei Prozent. Selbst in früheren Hochburgen ist von den Freien Demokraten kaum noch etwas zu sehen.
Wer jetzt vorschnell auf Abgesang schaltet, verkennt die politische Lage. Es geht nicht nur um das Schicksal einer Partei, sondern um die Zukunft des Liberalismus und damit um die Stabilität unserer Demokratie. Wo die liberale Mitte fehlt, gewinnen Extreme an Boden. Statt die politische Mitte zu verteidigen, hat die FDP in Bayern sie über Jahre hinweg preisgegeben. Marco Buschmann rief bereits 2019 dazu auf, das bürgerliche Zentrum zu stärken. Doch die Partei agierte reaktiv, statt mit klarem Kurs, tragfähigen Konzepten und modernem Politikstil zu überzeugen. Der Fokus lag auf Abgrenzung zur Ampel oder zur CSU, weniger auf eigenen Antworten für die Herausforderungen dieser Zeit. Dabei wäre genau das ihr ureigenes Terrain: wirtschaftliche Vernunft, Bildungsaufstieg, Freiheitsrechte, Digitalisierung, Generationengerechtigkeit.
Gerade diese Themen haben in der Geschichte der Bundesrepublik mehrfach entscheidend zur Modernisierung des Landes beigetragen – etwa in den 1970er Jahren unter Hans-Dietrich Genscher mit dem Ausbau der Bürgerrechte, oder unter Otto Graf Lambsdorff, der marktwirtschaftliche Reformkonzepte zur Zeit der wirtschaftlichen Stagnation formulierte. Auch die Agenda 2010, von Liberalen unterstützt, war ein Weckruf für wirtschaftliche Erneuerung, der Deutschland zurück in die Wettbewerbsfähigkeit führte. Der Liberalismus hat geliefert – nicht immer laut, aber wirksam.
Ein Blick ins Ausland zeigt: Liberale Parteien können wieder erstarken – wenn sie Haltung zeigen. In den Niederlanden schaffte es die VVD unter Mark Rutte, sich mit pragmatischer Wirtschafts- und Bildungspolitik zur führenden Kraft zu entwickeln. In Kanada füllte Justin Trudeau liberale Politik mit progressiver Energie. Selbst in osteuropäischen Staaten wie Estland oder Tschechien konnten liberale Bewegungen jüngst Erfolge erzielen, weil sie mit digitaler Kompetenz, wirtschaftlichem Optimismus und staatsbürgerlicher Klarheit auftraten. Warum also sollte das in Bayern nicht gelingen?
So bitter die Analyse ist, so notwendig ist sie gerade jetzt. Die FDP ist aus dem Takt geraten. Sie hat Wähler an CSU, Freie Wähler und AfD verloren, aber auch viele ins Lager der Nichtwähler ziehen lassen. Besonders dramatisch ist der Vertrauensverlust in der Fläche: In ländlichen Stimmkreisen wie Cham oder Schwandorf kam die Partei zuletzt nur noch auf gut ein Prozent. Gleichzeitig wird ihre wirtschaftspolitische Kompetenz zunehmend anderen zugeschrieben – ein Alarmzeichen für eine Partei, die einst als Stimme der ökonomischen Vernunft und der Sozialen Marktwirtschaft galt. Zugleich besetzt die Union unter Friedrich Merz gezielt Sollbruchstellen im bürgerlichen Lager und macht sich klassische FDP-Themen zu eigen – vom Leistungsversprechen bis zur wirtschaftlichen Standortpolitik.
Dazu passt: Laut Wahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen hat die FDP zwischen 2017 und 2025 besonders unter 30- bis 49-jährigen Männern, Selbstständigen und Jungwählern verloren – einst klassische Stützen der Partei. Gleichzeitig wuchs der Anteil der FDP-Wähler, die sich als unzufrieden mit der politischen Gesamtentwicklung bezeichneten. Es fehlt nicht an Themen – es fehlt an Vertrauen, dass die FDP sie lösen kann.
Hinzu kommt ein strukturelles Problem: Wer sich heute als junger Mensch oder Quereinsteiger bei der FDP engagieren will, erlebt in vielen Kreis- und Bezirksverbänden eine geschlossene Gesellschaft. Parteistrukturen wirken verkrustet, Beteiligung ist oft schwer möglich, Mentoring-Programme fehlen, digitale Kommunikation bleibt unterentwickelt. Eine Partei, die Zukunft gestalten will, darf nicht rückwärts organisiert sein.
Trotzdem – oder gerade deshalb – braucht es diese FDP. Denn keine andere Partei vertritt die Verbindung aus individueller Freiheit, Rechtsstaat und sozialer Marktwirtschaft mit vergleichbarer Konsequenz. Und keine andere Kraft kann den Spagat leisten zwischen technologischer Innovation und gesellschaftlicher Verantwortung, zwischen Aufstiegschancen und Eigenverantwortung. Dies muss ein dringend erforderliches neues Grundsatzprogramm herausarbeiten. Denn die FDP ist im weiten Spektrum der Parteienlandschaft die einzige Partei, die das Individuum und dessen größtmögliche persönliche und wirtschaftliche Freiheit in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt.
Fällt die liberale Stimme weg, verengt sich das Meinungsspektrum, das politische Gleichgewicht gerät ins Wanken. Die Mitte wird leiser – und die Ränder lauter. In politischen Debatten zu Migration, Energie oder Staatsfinanzen dominieren zunehmend extreme Positionen. Dabei braucht es gerade jetzt eine liberale Kraft, die Radikalisierungen auf beiden Seiten etwas entgegensetzt, auf Ausgleich setzt, auf Machbarkeit statt Ideologie. Eine Partei, die nicht populistisch punktet, sondern Orientierung bietet. Auch technologisch steht Deutschland vor einer Richtungsentscheidung: Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, neue Energieträger, Bildungsgerechtigkeit – all das verlangt eine Politik, die mutige Unternehmer und kreative Köpfe nicht ausbremst, sondern unterstützt.
Damit die FDP diesen Anspruch wieder glaubwürdig vertreten kann, braucht sie mehr als nur eine inhaltliche Schärfung. Sie braucht eine strukturelle und kulturelle Erneuerung. Eine 100-Tage-Agenda mit messbaren Zielen – nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für die Partei selbst. Dazu gehören: die Einführung eines digitalen Mitgliederkonvents, der Start eines Mentoringprogramms für neue Mitglieder, die Veröffentlichung eines liberalen Zukunftsplans mit fünf konkreten Projekten in den Bereichen Bildung, Energie, Mittelstand, Staatsmodernisierung und Rechtsstaat.
Und – längst überfällig – eine Agenda für mehr Frauen in der FDP. Wer die Zukunft gestalten will, muss die Perspektiven der Hälfte der Gesellschaft einbinden: in Programmen, Vorständen, Wahllisten. Die FDP muss Vorreiterin für gleiche Chancen werden – nicht Nachzüglerin. Und intern: neue Gesichter auf Bezirks- und Landeslisten, die Definition eines Kriterienkatalogs für transparente Nominierungsverfahren, die Verpflichtung auf eine partizipative Feedbackkultur.
Eine Öffnung für Quereinsteiger, digitale Beteiligungsformate, transparente Entscheidungswege – all das gehört dazu. Und eine andere Sprache. Weniger Empörung, mehr Substanz. Weniger Abgrenzung, mehr Lösung. Weniger innenpolitische Nabelschau, mehr Zukunftsdebatte.
Wer den Liberalismus will, braucht eine Partei, die ihn glaubwürdig vertritt. Die FDP muss sich diese Rolle zurückerarbeiten – durch inhaltliche Klarheit, eine offene Parteikultur, einen eindeutigen Kurs und einen anderen Politikstil. Keine Empörungskommunikation mehr, keine Parteitage für die Galerie. Sondern: klare Ziele, überprüfbare Fortschrittsmarken, echte Öffnung für neue Ideen und neue Menschen.
Was die FDP in Bayern jetzt braucht, ist kein Wiederaufguss vergangener Erfolge, sondern ein echter Neuanfang. Sie hat die Chance, sich völlig neu zu erfinden – weil sie im Moment nichts mehr zu verlieren hat. Sie kann Allianzen mit Start-ups, Hochschulen, Bürgerinitiativen suchen, neue Zielgruppen ansprechen, neue Wege gehen. Sie kann aufhören, sich zu rechtfertigen – und anfangen, wieder zu gestalten.
Dieser Aufbruch muss gelingen. Und ich bin überzeugt: Bayern kann Vorreiter für einen modernen, zukunftsgewandten Liberalismus sein – wenn die Liberalen den Mut finden, nicht zurück, sondern endlich nach vorne zu denken.